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Wirtschaftspolitik

BOLIVIEN IN EINEM ÜBERGANGSPROZESS

Von Rodrigo Sarmiento*

 

Vor einem Jahr übernahm Evo Morales Ayma die Präsidentschaft Boliviens. So wurde er zum ersten indianischen Präsidenten in der republikanischen Geschichte des Landes. In einem Land wie Bolivien, das den Traditionen und Ritualen sehr verbunden ist, ließ sich Evo Morales zum Oberhaupt der Andenindianer ausrufen, an keinem geringeren Ort als dem Kalasasaya Tempel in den Ruinen von Tiahuanaco, eine ältere Kultur als die der Inkas. Diese Amtsübernahme erweckte natürlich ein weltweit großes Medieninteresse.

 

Abgesehen von der Tatsache, dass ein Indianer zum ersten Mal den Präsidentensessel besetzt, was an sich schon eine Nachricht wert ist, waren die Augen der Welt auch wegen des erwarteten Richtungswechsels in der Wirtschaftspolitik auf Bolivien gerichtet. Nach zwanzig Jahren durchgehender Anwendung einer liberalen Wirtschaftspolitik zeigte dieses Modell seine Nachteile und Abnutzungserscheinungen, was sich in der allgemeinen Unzufriedenheit einer Mehrheit, die den Nutzen einer freien Marktwirtschaft nicht sehen konnte, ausdrückte. Diese Unzufriedenheit wurde von Morales und seiner Partei MAS (Movimiento al Socialismo) – Bewegung zum Sozialismus, sehr geschickt kanalisiert und die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen wurden mit absoluter Mehrheit gewonnen, indem er einen radikalen Wandel in der Wirtschaftspolitik versprach: Demontage der freien Marktwirtschaft, Verstaatlichung der Naturressourcen und der strategischen Unternehmen, Landumverteilung. Dem Staat würde er eine stärkere Rolle in der Entwicklung des Landes zuweisen und im Allgemeinen eine sozialistische Politik umsetzen.

 

Also, betrachten wir die Schlüsselthemen der politischen Veränderung Boliviens: 1.) Die „Rückgewinnung“, Verstaatlichung der Naturressourcen 2.) Die regionale Autonomien und 3.) Die  verfassungsgebende Versammlung. Wir sollten präzisieren, dass diese Materien keinesfalls Produkt eines von der MAS ausgetüftelten kohärenten Regierungsprogramms sind, sondern vielmehr das Ergebnis der Bedürfnisse und Forderungen der verschiedenen Sektoren, Regionen und der so genannten „Sozialen Bewegungen“, die von den Strassen aus den Wechsel des Steuerkurses im Oktober 2003 erzwangen und somit den damaligen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada zum Rücktritt. Daher ist auch dieses Programm in Bolivien als „Oktober-Agenda“ bekannt.

 

Die Naturressourcen

Die unermesslichen Naturressourcen Boliviens waren immer Segen und Fluch zugleich in der Geschichte des Landes. Charakteristisch für die Wirtschaft des Landes waren die verschiedenen Zyklen der Monoproduktion, insbesondere von Silber, Kautschuk und Zinn. Derzeit befindet sich Bolivien im Gas-Zyklus, daher ist das Erdgas auch der Zankapfel zwischen den politischen Lagern. Bolivien verfügt nach Venezuela über die zweitgrößten Erdgasreserven Südamerikas, ist aber wegen seiner geopolitischen Lage im Zentrum des Subkontinents das Energie-Herz der Region. Bolivien ist der Erdgaslieferant Argentiniens und Brasiliens. Außerdem hofieren die anderen energiehungrigen Nachbarländer, die über kein Erdgas verfügen wie Chile und Paraguay, Bolivien ebenfalls seit einigen Jahren, um an Erdgas zu kommen.

 

Bis Anfang der 90er Jahre wurden Erdöl und Erdgas von dem staatlichen Unternehmen YPFB (Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos), der bolivianischen Erdölgesellschaft, verwaltet. Dieses Unternehmen war, wie auch alle anderen Unternehmen in öffentlicher Hand, immer wieder die Kriegsbeute der gerade regierenden politischen Parteien, bei denen Gunsterweisungen und der staatliche Interventionismus an der Tagesordnung standen. Im Rahmen des Wirtschaftsliberalismus wurden diese Unternehmen, die dringend Kapital, neue Technologien und vor allem ein effizientes und transparentes Management brauchten, privatisiert. Auf diese Art, mit großen Anreizen und Begünstigungen seitens des Staates, kamen transnationale Unternehmen ins Land und brachten Millionen US-Dollar an Investitionen, die die Entdeckung und Zertifizierung der immensen Erdgasreserven ermöglichten.

 

Die jetzige Regierung „verstaatlichte“ im Mai letzten Jahres die Erdgasvorkommen. Es handelt sich aber nicht um eine tatsächliche Verstaatlichung mit Enteignung der Güter und des Vermögens sowie Ausweisung der internationalen Unternehmen, sondern viel mehr um ein Straffeskorsett für die transnationale Erdölgesellschaften, indem sie gezwungen wurden neue Verträge mit dem bolivianischen Staat zu unterzeichnen, in denen die Abgaben von 50% auf derzeit 82% erhöht wurden. Auf der anderen Seite wollte man YPFB, die bolivianische Erdölgesellschaft, wieder aufbauen, damit sie eine größere Rolle in der Verwaltung  der Kohlenwasserstoffe spielen könne. Aber nach einem Jahr endete dieser Versuch in einem Fiasko und die politische Einmischung verhinderte noch ein Mal die effiziente Führung dieses Unternehmens.

 

Nach einem Jahr Präsidentschaft von Evo Morales ist seine Popularität wegen der andauernden sozialen Konflikte erheblich gesunken. Daher hat der Präsident vor zwei Wochen die Zinnhütte „Empresa Metalúrgica Vinto“, im Besitz des schweizerischen Rohstoffkonzerns Glencore International AG, in einer übermäßigen und unnötigen Militärintervention nationalisiert. In diesem Fall inszenierte die Regierung ein Spektakel: Man besetzte die Firma und kündigte an, dass es diesmal ernst sei und es zu einer Enteignung kommen werde, und wenige Tage später widerrief und informierte man, dass es eventuell eine Entschädigung für Glencore geben werde. Wie auch immer, man gab falsche Signale an die jetzigen und zukünftigen Investoren in Bolivien.

 

Die Regionalen Autonomien

Die staatliche Verwaltungsstruktur im Bolivien ist voll zentralistisch. Alle Entscheidungen werden im Regierungssitz La Paz getroffen. Es wurden zum Beispiel, in einem Land mit mehr als eine Million Km² und neun Departements, die Präfekten, die höchste Autorität in jeder Region, bis vor zwei Jahren direkt vom Präsidenten der Republik ernannt. Seit vielen Jahren verlangen einige Regionen, insbesondere die im Osten des Landes, Santa Cruz, Beni und Pando, mehr Autonomie in den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, aber der kategorische Andenzentralismus hat ihre Forderungen abgeschlagen. In den letzten Jahren hat sich die Wichtigkeit der Regionen gänzlich geändert. Heutzutage ist der wirtschaftliche Motor Boliviens eindeutig Santa Cruz, wo sich das Erdgas, das Erdöl, die extensive Viehzucht und die Agrarindustrie befinden. Außerdem verfügt über gut qualifiziertes und unternehmerisches Humankapital. Tarija, im Süden des Landes, beansprucht ebenfalls Autonomie, auch dort gibt es große Erdgasreserven.

 

Morales und seine Partei, MAS, machten Wahlkampf mit dem Versprechen, den autonomen Prozess zu unterstützen und das Ergebnis des Referendums über die regionalen Autonomien, das der Präsident Carlos Mesa einberufen hatte, zu respektieren. Voriges Jahr fand das Referendum statt, und wie erwartet stimmten die Regionen des so genannten „Halbmondes“ (die geografische Lage von Pando, Beni, Santa Cruz und Tarija ähneln dem Halbmond) für das JA, während die Andenregionen für NEIN stimmten. Schon kehrte Präsident Morales, in der Befürchtung, Macht einzubüssen sein Versprechen um und unterstützte offen das Nein, will also weiterhin die regionalen Autonomien verhindern wie schon seine Vorgänger, welche er so kritisierte. Das verursacht Friktionen und Polarisation in der bolivianischen Gesellschaft. Es ist zu hoffen, dass es in dieser Regierung letztendlich zu einer wahren Dezentralisierung des Staates kommt, die eine effiziente Verwaltung erlaubt, die lokalen Bedürfnisse berücksichtigt und die neue Gewichtung der Regionen widerspiegelt.

 

Die verfassungsgebende Versammlung

Seit August vorigen Jahres tagt die verfassungsgebende Versammlung in Sucre, die verfassungsmäßige Hauptstadt Boliviens, wo die Republik 1825 zu Ehren des Befreiers Simón Bolívar gegründet wurde. Man will das Land neu gründen. Die verschiedenen Visionen dazu gehen aber weit auseinander. Auf der einen Seite steht die Vision von Morales und seinen Anhängern. Sie wollen eine ursprüngliche Versammlung mit absoluter Macht über die anderen staatlichen Instanzen, sie wollen zurück zum Indigenismus und den indigenen Völkern Selbstbestimmungsrecht erteilen, verlangen, dass die katholische Religion nicht mehr als offizielle Religion anerkannt wird und wollen außerdem das Privateigentum einschränken. Aber die vielleicht gravierendste Aufforderung ist die, dass die so genannten „Sozialen Bewegungen“, die mehrheitlich Mitglieder der MAS sind, ein autonomes Verfassungsorgan bilden, das die anderen Bereiche der Staatsgewalt kontrolliert.

 

Auf der anderen Seite wird die Ansicht vertreten, dass die aktuelle Gewaltenteilung erhalten bleiben sollte und die Verwaltung durch Dezentralisierung in regionale Autonomien verbessert werden sollte. Sie wollen ein demokratisches, alle einschließendes, modernes Bolivien mit einer freien Marktwirtschaft und einem Rechtsstaat.

 

Die Teilnehmer an der verfassungsgebenden Versammlung haben sich bis 6. August dieses Jahres, dem Nationalfeiertag Boliviens, Zeit gegeben, um die neue Verfassung zu erstellen. Niemand weiß ganz bestimmt, was bei diesem Experiment herauskommen wird, aber was sich alle Bolivianer sehnlichst wünschen, ist endlich ein neuer Gesellschaftsvertrag: gerecht, egalitär, alle mit einschließend, der eine würdevolle Zukunft für alle Bürger dieses an Naturressourcen, Kultur und Humankapital sehr reichen Landes ermöglicht.

 

Der große Vorteil von Morales als Präsident ist, dass sich endlich eine große Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung von ihrem Regierenden vertreten fühlt und sich mit diesem Wendeprozess identifizieren kann. Wie wir aber in den vorherigen Beispielen gesehen haben, stellt diese Art Politik zu machen, Herrn Morales in die Reihen der linkspopulistischen Politiker in Südamerika. Zweifelsohne erlebt Bolivien aber einen Wendepunkt in seiner Geschichte, denn es wird ein Vor und ein Nach Evo geben.

 

* Magister der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften  (Volkswirtschaft)

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12. März 2007

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